Tiefe Geothermie in Deutschland | 16. Dezember 2022
#Geothermie#Nachhaltigkeit#Umwelt
Wärmemarkt Deutschland: Was die Geothermie künftig leisten kann
Tiefe Geothermie und oberflächennahe Geothermie können zum Game-Changer der deutschen Wärmewende werden
Deutschland hat sich verpflichtet, bis zum Jahr 2045 weitgehend treibhausgasneutral zu werden. Dafür strebt es an, seine Treibhausgas-Emissionen bis 2045 um mindestens 80 Prozent, und bis 2030 um mindestens 65 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Es will so seinen Beitrag leisten, die globale Erderwärmung auf deutlich unter 2° Celsius oder sogar auf nicht mehr als 1,5° Celsius zu begrenzen. Laut Experten lässt sich die dazu notwendige Energiewende nur mit einer Wärmewende erreichen – also einem Wechsel zu klimaneutralen Energieträgern im Wärmesektor.
Wärmemarkt Deutschland: extrem hoher Wärmebedarf
In Deutschland ist der Bedarf an Wärme trotz Einsatz energieeffizienter Technologien immer noch sehr hoch und verringert sich nur langsam. Er liegt bei rund 1.200 TWh pro Jahr (Stand 2020). Mit 52,6 Prozent stellt Wärme in Deutschland den größten Anteil am gesamten dar – gut doppelt so hoch wie der Stromverbrauch. Der größte Teil der Wärme wurde 2019 zum Heizen (658 TWh/a) eingesetzt. Weitere Anwendungen sind Warmwasser (130 TWh/a), Prozesswärme für die Industrie (541 TWh/a) und Klima-/Prozesskälte (63 TWh/a). Die energetische Sanierung von Altbauten sowie die Zunahme von Neubauten mit geringem Wärmeverbrauch reichen bei weitem nicht aus, um die Treibhausgas-Emissionen maßgeblich zu senken. Zudem bilden Erdöl und Erdgas beim Bereitstellen von Wärme immer noch die wichtigsten Energiequellen. Deutschland ist bei der Wärme also von fossilen Brennstoffen abhängig (circa 67 Prozent). Der Wärmesektor nimmt somit eine wichtige energiepolitische und gesamtwirtschaftliche Rolle ein.
Anteil der erneuerbaren Wärme weiterhin gering
Potenzial der Geothermie: ein Viertel des gesamten Wärmebedarfs abdeckbar
Zwar beträgt die Jahreswärme-Produktion aus tiefer Geothermie in Deutschland nur 1,7 TWh pro Jahr (Stand 2020), doch lässt sich diese deutlich steigern. Laut einiger Geothermie-Experten eröffnet das heimische Marktpotenzial enorme bzw. ca. 70 GW installierte Leistung (Strategiepapier „Roadmap Tiefe Geothermie für Deutschland, 2022). Dies bedeutet, dass ein Viertel des gesamten Wärmebedarfs in Deutschland über geothermische Systeme sowie Hochtemperatur-Speicherung und Grubenwasser abgedeckt werden können. Alle Zahlen hierzu sind naturgemäß mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. So gibt es z.B. auch Annahmen, die das Potenzial auf deutlich unter 300 TWh/a ansiedeln.
Vermutetes Ausbau-Potenzial bis etwa 300 TWh/a durch hydrothermale Tiefengeothermie
Die geschätzte 300 TWh/a-Marke bezieht sich vor allem auf den Schwerpunkt hydrothermaler Reservoire: Mithilfe von Tiefbohrungen lassen sich geothermale Wasser mit Temperaturen von 15 bis 180 °Celsius in Tiefenlagen von 400 bis circa 6.000 Metern erschließen. Der Vorteil: Hydrothermale Tiefengeothermie ist permanent und unabhängig von Jahres- und Tageszeiten verfügbar sowie komplett grundlastfähig. Sie wird insbesondere für die kommunale Wärmeversorgung, für Fernwärme, in der Wohnungswirtschaft sowie zum Bereitstellen von industrieller Prozesswärme genutzt.
Erweiterbares Ausbauziel durch oberflächennahe Geothermie
Das Ausbauziel lässt sich durch die oberflächennahe Geothermie umfassend erweitern. Beide Verfahrensweisen, Tiefengeothermie und oberflächennahe Geothermie, ergänzen sich hervorragend und besitzen ein beachtliches Potenzial.
Neben der oberflächennahen Geothermie und der Tiefengeothermie verwendet die Fachöffentlichkeit auch den Begriff mitteltiefe Geothermie. Gemeint sind damit Tiefenbereiche ab etwa 400 Meter und bis zu 60° Celsius Reservoir-Temperatur, in denen es insbesondere in Norddeutschland geeignete Reservoire gibt. Mitteltiefe Geothermie eignet sich für geschlossene und offene Systeme, also typischerweise Dubletten (Förderbohrung und Injektionsbohrung). Häufig muss dabei die Temperatur des geförderten Wassers angehoben werden, um dieses für Wärmenetze nutzen zu können. Häufig verstehen Experten den Tiefenabschnitt ab circa 400 Meter als Teilbereich der Tiefengeothermie. Teilweise wird die mitteltiefe Geothermie jedoch auch als eigenständige Kategorie betrachtet.
Chancen und Maßnahmen der Tiefengeothermie
Die bisher realisierten Projekte und das enorme Potenzial der tiefen Geothermie stellen eine große Diskrepanz dar. Mit den gesetzten Klimaschutzzielen und der benötigten Energiewende, der Öl- und Gasabhängigkeit von Russland sowie der Versorgungssicherheit steht Deutschland vor beachtlichen Herausforderungen. Doch werden die richtigen Weichen für die Wärmewende gestellt, eröffnen sich auch große Chancen. Um das Potenzial der Tiefengeothermie besser auszuschöpfen, sind strukturelle Änderungen, verbesserte (gesetzliche) Rahmenbedingungen sowie finanzielle Förderungen geboten.
Geothermie: Investitionskosten senken, effiziente Wärmenetze bundesweit fördern
In der gegenwärtigen Situation ist eine finanzielle Förderung wichtig. Hier bietet die neue Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) eine entscheidende Basis für die Wärmewende. Der Grund: Die Tiefengeothermie ist von hohen Anfangskosten sowie geringen laufenden Kosten gekennzeichnet. Deshalb ist eine Anschubfinanzierung der Investition bedeutsam, wie sie durch die BEW erfolgt. Denn diese kann dazu beitragen, die Investitionen rund um die Tiefengeothermie (z.B. Erkundungs-, Erschließungs-, Infrastruktur- und Ausgleichsmaßnahmen, Machbarkeitsstudien) gering zu halten.
Fündigkeitsrisiken mindern, bestehende Förderungen weiterentwickeln
Ein wichtiger Aspekt stellen neue Geschäftsmodelle dar. Diese können helfen, die Investitionskosten in der Tiefengeothermie zu reduzieren. Insgesamt ist in der Tiefengeothermie besonders vorteilhaft, wenn die Akteure ihre Projekte nicht mit nur einer Dublette durchführen, sondern immer mehrere Projekte starten und so von einer Lernkurve profitieren. Bei einem eventuellen Projekt-Misserfolg ist der Schaden dann besser abgepuffert. Darüber hinaus macht das kürzlich in Kraft getretene Geologiedatengesetz (GeolDG) in vielen Regionen wichtige Untergrunddaten verfügbar.
Da die Untergrunddaten auf vorherigen Bohrungen sowie auf obertägigen Seismik-Kampagnen mit Messfahrzeugen basieren, ist die Erkenntnislage zum geologischen Untergrund von Region zu Region unterschiedlich ausgeprägt. Deshalb stellt die Nutzung der bereits existierenden Untergrunddaten für viele Standorte ein wertvolles Instrument bei der Evaluierung des Projekts dar. Sie kann entscheidend dazu beitragen, die bisweilen erheblichen Fündigkeitsrisiken zu minimieren. Fündigkeitsrisiken sind in der Tiefengeothermie ein Schlüsselfaktor, um Projekte erfolgreich zu realisieren.
Geothermie-Forschung intensivieren
Um das Tiefengeothermie-Potenzial effizienter auszuschöpfen, bedarf es umfassender Kenntnisse über die geologischen Untergründe verschiedener Regionen in Deutschland. Der Grund: Im Gegensatz zu anderen erneuerbaren Energien muss jedes Tiefengeothermie-Projekt individuell geplant werden, da die geologische Situation des Untergrunds von Region zu Region und Standort zu Standort sehr unterschiedlich sein kann. Hilfreich ist grundsätzlich auch mehr Qualifizierung sowie Fachwissen. Es geht darum, Aufsuchungs- oder Fündigkeitsrisiken in der tiefen Geothermie zu erkennen und zu reduzieren sowie das Anwendungswissen rund um wiederholbare Entscheidungsprozesse zu verbessern. Ein wichtiger Faktor ist dabei, wie man in Unternehmen professionell mit den Risiken umgeht und erfolgreiche Entscheidungsprozesse etabliert.
Mehr in die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften investieren
Ebenso ist es sinnvoll, die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften für die geothermale Forschung zu sichern und wenn möglich auszubauen. Und noch ein Aspekt entscheidet über die Zukunft der Tiefengeothermie: Beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren mit einer rascheren Bearbeitung der Anträge, eröffnen die Chance, Geothermie-Projekte nicht nur schneller anzubahnen, sondern auch mehr Projektideen in die tatsächliche Umsetzung zu bringen.
Ausbau und Anpassung der Nah- und Fernwärmenetze
Die Geothermie ist als Lieferant von Erdwärme ein wesentliches Instrument, mit dem sich der Wärmemarkt am besten dekarbonisieren lässt – also eine Minderung der Treibhausgasemissionen durch kohlenstoffarme Energiequellen und somit die Reduzierung von Treibhausgasen in der Atmosphäre. In der Tiefengeothermie erfolgt dies über Wärmenetze, die entsprechend massiv ausgebaut werden müssen. Sind die geologischen Bedingungen erfüllt, stellt die Tiefengeothermie die beste Option für die Wärmequelle beim Bau neuer Fernwärmenetze dar.
Zwar ist tiefe Geothermie im Wesentlichen auf bestimmte geologische Schwerpunkt-Regionen in Deutschland bisher etwas begrenzt (z.B. Norddeutsches Becken, Molasse in Bayern, Oberrheingraben), aber Potenzial und ausgereifte Fördertechnik machen die Erschließung zu einem Muss. Hydrothermale Systeme gelten heute als Status Quo und werden weltweit eingesetzt. Grundlastfähig und in der Regel ganzjährig rund um die Uhr verfügbar, eignet sich hydrothermale Geothermie hervorragend für die kommunale Wärmeversorgung mittels Fernwärme sowie viele Industrieprozesse.
Petrothermale Geothermie langfristig nutzen
Bei der petrothermalen Geothermie wird geothermische Energie aus tieferen Untergründen ab 3.000 Metern Tiefe unabhängig von wasserführenden Schichten gewonnen. Genutzt wird dabei die gespeicherte Energie im heißen, wenig durchlässigem Gestein mittels Stimulation mithilfe künstlich erzeugter Wärmetauscher. Sogenannte Enhanced Geothermal Systems (EGS) erhöhen die Durchlässigkeit von Kluftnetzwerken im kristallinen Untergrund und ermöglichen eine umweltschonende Erschließung. Petrothermale Geothermie ist flächendeckend in ganz Deutschland mit Technologien wie EGS, Sondersysteme wie Eavor-Loop oder Sage möglich, aber noch kostenintensiv und nicht vollständig erforscht. Aus diesem Grund gilt petrothermale Geothermie eher als langfristige Maßnahme.
Tiefengeothermie-Projekte und flächendeckend Fernwärmenetze ausbauen
Die Geothermie eröffnet der Fernwärme in Deutschland enorme Chancen. Weitläufige Bestandsnetze der Fernwärme können dabei Erdwärme aus tiefer und mitteltiefer Geothermie als neue Energiequelle nutzen, zum Beispiel in städtischen Ballungsräumen mit vielen Wärmeabnehmern. Ebenso liefert Tiefengeothermie erneuerbare Wärme für neue Fernwärmenetze. Um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen, ist eine Wärmewende mit einem umfassenden Einsatz von Fernwärme notwendig. Tiefengeothermie kann hierzu einen wertvollen Beitrag leisten – dies erfordert aber deren entschlossenen und weitreichenden Ausbau durch weitere Projekte.
Zudem wirken sich der beschlossene Kohlekraftausstieg sowie die fehlende Abwärme der Kohlekraftwerke unmittelbar auf die Fernwärme-Versorgung in Deutschland aus. Die Folge: Es fehlen rund 13,3 GW Wärmeleistung. Das Einspeisen von circa 40 TWh pro Jahr in öffentliche Fernwärmenetze müssen nun alternative Wärmequellen leisten – in vielen Regionen Deutschlands ist daher die tiefe Geothermie als Energiequelle geradezu prädestiniert.
Gleichzeitig ist in Deutschland ein umfassender Ausbau der Fernwärmenetze bis 2030 und auch darüber hinaus notwendig, Dies beinhaltet neue und vergrößerte Netze sowie Wärmequellen hierfür, z.B. Geothermie-Anlagen – eine Investition von rund 33 Milliarden Euro.
Quartierslösungen bei Sanierung und Neubau forcieren
In Deutschland ist das Heizen von Gebäuden gegenwärtig für 30 Prozent der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Deshalb muss der Anteil der klimaneutralen Energien bei Bestandsbauten erhöht werden.
Bei Projekten mit flacheren, nicht ganz so warmen Reservoiren bietet sich oft eine Lösung mit einer zusätzlichen Großwärmepumpe an, die das Temperaturniveau auf das erforderliche Maß anhebt. Ein weiterer Vorteil ist die Grundlastfähigkeit der Geothermie – die Erdwärme ist rund um die Uhr ganzjährig verfügbar.
Oberflächennahe Geothermie – Alternative für Quartiere und ländliche Gebiete
In weiten Teilen Deutschlands, wo die Tiefengeothermie nicht zum Einsatz kommen kann, ist die oberflächennahe Geothermie sinnvoll. Hierbei handelt es sich um flache Bohrungen, meist bis 100 Meter, maximal bis 400 Meter Tiefe. Diese ermöglichen Temperaturen von 5 bis 10° Celsius und erfordern daher eine Wärmepumpe, um die gewünschte „Verbrauchertemperatur“ zu erzielen. Anwendungen der oberflächennahen Geothermie sind besonders für Neubauten attraktiv, die niedrige Heizkreislauf-Temperaturen (z.B. für Fußbodenheizungen) benötigen. Oberflächennahe Geothermie und Tiefengeothermie ergänzen sich. Erstere empfiehlt sich insbesondere für den Wärmeausbau in ländlichen Gebieten sowie neuen Quartieren.
Wertschöpfung der Tiefengeothermie ausbauen: sauberer ORC-Strom und Lithium-Förderung
In manchen Regionen sind noch weitere Anwendungen der Tiefengeothermie außer der Wärmeerzeugung möglich. Wärme wird in Deutschland saisonal benötigt. Dafür lassen sich systemisch Wärmespeicher einsetzen, die ein großes Potenzial bieten. Gegenwärtig werden die Verfahren hierfür noch erforscht. Die untertägigen Wärmespeicher könnten in Zukunft einen wichtigen Mosaikstein bei der Realisation der Wärmewende darstellen.
In manchen Gebieten Deutschlands sind die Reservoire so heiß, dass das Wasser kochend und sogar bis über 120° Celsius gefördert werden kann. Auf diese Weise lässt sich mithilfe von ORC- (Organic Rankine Cycle) oder Kalina-Anlagen sauberer Strom erzeugen und dann ggf. die Restwärme für Fernwärmenetze nutzen.
Eine weitere Option der Tiefengeothermie besteht darin, dass im Thermalwasser gelöste Lithium an die Oberfläche zu befördern. Die Produktionstechnologien hierzu werden zwar noch erforscht, eröffnen aber die große Perspektive, Lithium umweltschonend und CO2-frei zu gewinnen. Der Rohstoff wird unter anderem für die Herstellung von Batterien verwendet. Im süddeutschen Oberrheingraben und im norddeutschen Becken gibt es Lithium-Vorkommen mit höheren Konzentrationen im Wasser.
Fazit: Geothermie – zuverlässig klimaneutrale Wärme und weitere Optionen
Die Geothermie ist heute die einzige deutlich skalierbare erneuerbare Energie, die weder von der Jahreszeit, noch vom Wetter abhängig ist. Sie liefert konstant, zuverlässig und in großer Menge jederzeit Wärme, Kälte und Strom – klimafreundlich, ohne großen Platzbedarf sowie ohne störende Eingriffe in das Landschaftsbild. Für mehr Energie-Unabhängigkeit, die Versorgungssicherheit sowie den Klimaschutz ist die Geothermie unverzichtbar. Mit den Anwendungen der hydrothermalen und petrothermalen Geothermie sowie zusätzlich der oberflächennahen Geothermie lässt sich die Wärmewende in Deutschland umsetzen. Wird Tiefengeothermie genutzt, kann diese das CO2-Äquivalent der entsprechenden Heizleistung auf null reduzieren. Tiefengeothermie ist somit gut für das Klima – sie bedeutet klimaneutrale Wärme. Geothermie insgesamt kann somit als große Chance bewertet werden, weil sie eine dauerhaft verfügbare, effiziente und vielseitige Energiequelle darstellt, die Wärme, Strom oder Kälte für die Gegenwart und die Zukunft liefert.
Kontakt:
Ingo Forstner