Nachrichten | zuletzt aktualisiert: 25. September 2023
#Energiewende#Versorgungssicherheit
Deutschlands neue Gasversorgung – kein Grund zur Entwarnung
Bezahlbares Erdgas ist von strategischer Bedeutung für die Transformation. Tut Deutschland genug? Ein Blog-Beitrag von Dr. Ludwig Möhring zur Handelsblatt Jahrestagung Gas 2023.
Deutschland treibt den Umbau der Energielandschaft voran: Ausbau der erneuerbaren Energien, Entwicklung des Wasserstoffmarktes, Carbon Management Strategie, Tiefengeothermie – all das ist richtig und in unterschiedlichen Stadien auf den Weg gebracht. Aber das allein sichert noch nicht den Erfolg der Transformation: zugleich müssen die Energieversorgung sicher und die Energiepreise tragfähig bleiben. Jahrzehntelang war das gesetzt: Pipeline-Gas aus den Niederlanden, Russland, Norwegen und Deutschland sicherte die Versorgung zu akzeptablen Preisen; LNG spielte in Nordwesteuropa nur eine kleine ergänzende Rolle. Die strategische Entscheidung Deutschlands, Erdgas als flankierenden Energieträger in der Transformation einzusetzen, der in den nächsten zwanzig Jahren auslaufen wird, schien die Energieversorgung für die Transformationszeit wirksam abzusichern.
Das ist Geschichte. Die Verwerfungen auf dem Weltgasmarkt infolge des Krieges gegen die Ukraine haben uns aus dieser komfortablen Position gerissen: Versorgungssicherheit und erst recht tragfähige Preise, die wir für Jahrzehnte als gesichert angenommen hatten, sind nicht mehr garantiert. Im Gegenteil, wir müssen befürchten, dass aus dieser globalen Marktdynamik eine neue Normalität mit deutlich höherem Preisniveau und mit mehr Preisvolatilitäten entsteht. Auch wenn die Gaspreise für die kommenden Jahre mittlerweile „nur noch“ bei rund 50 €/MWh liegen: Das ist das 2½-fache der vor der Krise üblichen Großhandelspreise von 20 €/MWh – und wir wissen nicht, wie es weitergeht.
LNG als Ausweg aus der Energiekrise?
Wir haben eine fundamentale Preiskrise: Im Zentrum der Energiekrise stehen die Erdgaspreise, die über die Merit-Order im Wesentlichen auch die Höhe der Strompreise bestimmen. Es ist keine Überraschung, dass große in Deutschland aktive Industrieunternehmen über die Verlagerung von Investitionen nachdenken, und bald könnten auch die existierenden Standorte zur Disposition stehen. Angesichts der neuen LNG-Dynamik ist es umso wichtiger, dass Deutschland eine zielgerichtete Gasversorgungsstrategie umsetzt: Wenn jährlich mehr als 100 Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas, das bisher nach Europa kam, durch LNG ersetzt werden sollen, sind global hohe Neuinvestitionen in Erdgasverflüssigungsanlagen, in Schiffskapazitäten und in Regasifizierungsanlagen erforderlich.
Sie ist mit großen Unsicherheiten behaftet: Wie entwickelt sich die Nachfrage in Asien und Europa? Wie und in welchem Zeitraum wirken sich die globalen Klimaschutzbemühungen aus? Was passiert mit den nicht gelieferten russischen Mengen – landen diese Mengen z.B. in Asien? Die Unsicherheiten sind so groß wie nie zuvor: Gelingt es, die globale Erdgasnachfrage rasch zu senken, könnte sogar zeitweise zu viel Erdgas auf dem Markt sein. Aber auch die gegenläufige Entwicklung erscheint realistisch: nämlich dann, wenn in Erwartung einer sinkenden Nachfrage zu wenig in die Sicherung der erforderlichen Fördermengen investiert wird.
Deutschland braucht eine Gasversorgungsstrategie
Als Importland muss Deutschland sich diesem Risiko aktiv stellen und kann sich nicht auf den Eintritt guter Nachrichten verlassen. Wir brauchen eine seriöse Gasversorgungsstrategie für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre. Nur kurzfristig einzukaufen, um die nächsten zehn Jahre schrittweise zu überbrücken, schafft eben nicht das notwendige Vertrauen und riskiert dauerhaft inakzeptable Preise.
Welche Optionen bleiben: Langfristige LNG-Verträge nach Deutschland zu ermöglichen und zusätzlich – wenn man sich politisch dazu durchringen kann – auch die heimische Förderung hochzufahren. Während sich die heimische Produktion zeitlich mit dem Ausstieg aus dem Erdgas abstimmen ließe, ist dies bei Langfristverträgen schwieriger. Aber auch 15-/20-Jahresverträge können gesteuert werden. Sollte der Erdgasbedarf tatsächlich zu gering werden, könnten die LNG-Mengen weiterverkauft, also reexportiert oder im Idealfall einfach umgeleitet werden. Sie könnten aber auch als Grundstoff für blauen Wasserstoff genutzt werden. Kurzum: Diese Verträge sind keine Bedrohung, sondern schaffen zusätzliche Optionen in Zeiten großer Unsicherheit. Erst recht sind sie kein Hindernis für die Transformation, sondern ein wesentlicher Erfolgsfaktor.
Eine Politik, die gerne nach der Maxime „erneuerbar gut, fossil schlecht“ agiert, muss erst einmal über diese Klippe der politischen Kommunikation springen und konsequent erklären, dass bezahlbares Erdgas ein strategischer Eckpfeiler der Transformation ist. Da erscheint es vielen offenbar einfacher, die Gasversorgung den Märkten zu überlassen …
Kontakt:
Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie e.V. (BVEG)